Morbus Menière

 Morbus Menière

Drehschwindel
Drehschwindel

Gera 2000

Heute ist mein letzter Tag einer mehrwöchigen Tour mit immer gleichen eintägigen Schulungseinheiten im Auftrag eines Automobilfabrikats. Seit etwa acht Wochen bin ich in Deutschland unterwegs, jeden Tag an einem anderen Ort, jede Nacht in einem anderen Hotel. Unterbrechungen gibt es nur an einigen Wochenenden. Heute bin ich in Gera. Den Tagesablauf kenne ich inzwischen sehr genau, alles läuft zigfach eingeübt, Jeder Satz wurde Tag für Tag gleich formuliert, für jede Frage habe ich jetzt eine Antwort.

Nix wie hemm

Bisher war es ein heißer Sommer im Jahr 2000. Auch heute herrscht wunderbares Sommerwetter. Ich beeile mich, fertig zu werden. Ich will heim – heim auf meine Terrasse mit einem Glas Rotwein.

Endlich bin ich fertig, Equipment abbauen, alles im Auto verstauen und los auf die Autobahn – die ist inzwischen neu ausgebaut und noch herrscht wenig Verkehr. Kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz fahre ich in eine Radarkontrolle, obwohl ich die Vorwarnung im Radio gehört hatte.

Es ist Sommer und lange hell, noch bei spätem Sonnenschein komme ich zu Hause an. Die Terrasse ist schon belegt. Da sitzt Besuch. Es wäre unfair, die Menschen, die uns besuchen, für die Folgen verantwortlich zu machen, doch sie haben mich in meinem Wunsch nach Entspannung gestört. Na egal, wenigstens trinken wir noch ein Glas Rotwein. Doch ich trinke zurückhaltender als sonst. Irgendwas stimmt nicht. Der Wein schmeckt mir nicht. Ich nehme mich zurück und halte mich ruhig.
Über Besuch freue ich mich sonst immer – heute bin ich froh, dass die Leute endlich gehen.

Drehschwindel

Wir wollen zu Bett gehen. Während es Ausziehens überfällt es mich plötzlich. Schwindel – in einer bisher nie erlebten Intensität – Schwindel. Alles dreht sich. Schnell setzte ich mich auf die Bettkante und merke, dass ich meine Position nicht mehr verändern kann, ohne den Schwindel zu verstärken. Brechreiz, ich bin mir unsicher ob es Brechreiz ist, ich kann mich nicht bewegen. Nur mit einem T Shirt bekleidet sitze ich da und kann nichts verändern. Gerne würde ich noch eine Hose anziehen, aber es geht nicht.

Morbus Menière
Morbus Menière

So sitze ich da in einer wenig bequemen Haltung auf der Bettkante – vielleicht eine halbe Stunde oder länger. Meine Frau versucht alles Denkbare für mich zu tun. Es hilft nichts- Schließlich ruft sie unseren Hausarzt an, er wohnt im Dorf und er nimmt auch noch um diese Zeit das Telefon ab.

Er kommt umgehend, meine Lage – meine Sitzhaltung –ist unverändert. Er hat den einen oder anderen Verdacht, kommt aber nicht weiter. Schließlich fordert er Notarzt und Rettungswagen an. Dieser Tag scheint für mich gelaufen.

Krankenhaus

Ich erwache im Krankenhaus in Wadern in einem Vierbettzimmer. Mein Bettnachbar bemerkt mein Erwachen und erklärt mir sofort die Welt, seine Zuckerkrankheit mit allen Details der medikamentösen Einstellung und fügt auch gleich seine Einschätzung über die Qualität der Ärzte sowie der Schwestern und Pfleger hinzu.

Meine Frau kommt, ich werde in ein anderes Zimmer verlegt. Nach kurzer Zeit fühle ich mich wieder ganz gut, etwas matt aber ohne Schwindel.

Die folgenden Tage vergehen mit Infusionen, Spritzen, Spaziergängen mit meinem Zimmernachbarn und Untersuchungen. Ich kann wieder ganz normal gehen und mich bewegen.

Caesar ante portas     

Für einen Besuch beim örtlichen HNO Arzt, kommt aber die Besatzung eines Krankenwagens mit einer Trage. Sie wollen mich zum Arzt bringen. Nach einigen Diskussionen nehmen sie einen Tragestuhl um mich zu transportieren. Da ich genauso gut gehen kann, komme ich mir sehr seltsam vor. Es ist eigentlich eine Lachnummer. Aber Vorschrift ist Vorschrift – da fällt mir mein Übertreten der Geschwindigkeitsbeschränkung vor dem Hermsdorfer Kreuz gestern ein. Leere und neue breite Autobahn, strahlender Sonnenschein, Tempo 100 – Vorschrift ist Vorschrift.

So richtig lächerlich wird es dann beim Zugang zum HNO Arzt. Der ist nur über eine lange und etwas steile Außentreppe, die in das Obergeschoss des alten Gebäudes führt, zu erreichen. Meine beiden Träger, ein junger Mann und eine etwa gleichaltrige Frau schleppen mich diese Treffe hinauf, die ich locker hätte gehen können. Früher habe ich gerne Asterix Comics gelesen. Jetzt kommt mir daraus ein Bild in den Sinn, Caesar wird durch ein Stadttor von Rom getragen. Einige Passanten sind erstaunt, weil ich ihnen zuwinke.

Der Arzt macht die üblichen Tests und entlässt mich wieder. Ich bitte ihn, den Trägern zu sagen, dass ich auch selbst gehen kann. Das hilft. Ich darf auf eigenen Füßen und mit eigenen Kräften die lange Treppe hinunter und auch im Krankenhaus wieder auf mein Zimmer gehen.

Wanderungen 

Mein Zimmernachbar und ich unternehmen inzwischen schon kleine Wanderungen in der Umgebung. Schließlich scheint die Sonne und irgendwie muss ja die Zeit vergehen.

Beide werden wir auch noch ins Partnerkrankenhaus nach Saarlouis zum MRT gefahren.

Um es kurz zu machen. Weder die Untersuchungen Im Krankenhaus und die beim HNO Arzt noch das MRT führen zu einem Ergebnis. Ob es nun wirklich ein Morbus Menière war oder ein naher Verwandter bleibt offen.

Tinitus

Das einzige für mich deutlich merkbare Ergebnis ist mein Tinitus. Ob durch den Drehschwindel oder das MRT ausgelöst, weiß ich nicht. Ich beschließe diesen Pfeifton zu ignorieren, ihm keine Beachtung zu schenken. Das gelingt.

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