Lebensqualität zurück
Hört nix
„Sonst hört er ja nix. Aber wenn er etwas nicht hören soll, versteht er plötzlich alles.“ Wer hat diesen Satz schon einmal aufgeschnappt oder selbst ausgesprochen? Meist wird in dieser Weise über ältere Menschen gesprochen. Dieser Satz gibt eine Menge Aufschluss über diesen Menschen und seine Angehörigen, die so über ihn/sie sprechen.
- Es wird respektlos über den älteren Angehörigen gesprochen – der hört ja sowieso nichts. Wie viel Lebensqualität wird ihm da noch zugestanden?
- Es wird unterstellt, dass die Wahrnehmung von Sprache ausschließlich über die Ohren erfolgt. Vergessen werden Ausdrucksweisen wie Mimik, Gestik und die gesamte Körperhaltung. Ein Schwerhöriger hat seine Wahrnehmung, bewusst oder unbewusst auf diese Bereiche konzentriert.
- Der schwerhörige ältere Mensch wird behandelt, als wäre er kein vollwertiges Mitglied der Familie oder Hausgemeinschaft mehr, schlimmstenfalls fällt er zur Last.
- Seine Meinung wird nicht mehr ernst genommen, weil er meist gar nicht mitbekommt, worum es bei Gesprächen wirklich geht und deshalb mit der eigenen Aussage danebenliegen muss.
- Unterhaltungen im Familienkreis sind überhaupt nicht mehr an diesen Menschen gerichtet. Ist das das Ende der Lebensqualität?
Übertreibt er jetzt
„Jetzt übertreibt er aber“, könnt Ihr mir hier entgegnen. Betroffene aber, die diesen Text vielleicht gar nicht zu lesen bekommen, wissen sehr wohl wovon ich spreche. Mir wurden verschiedene „Schicksale“ berichtet und ich habe solche Begebenheiten zur Genüge beobachtet.
Muss das wirklich sein?
Diese Frage stellt sich doch. Nein es muss nicht sein, jedenfalls nicht in allen Fällen. Es gibt heute Lösungen, die die Schwerhörigkeit verringern oder gar beseitigen können. Je nach Situation lässt sich sogar eine faktische Taubheit beseitigen.
Es lohnt sich
„Oh, ich bin schon fast siebzig, da lohnt sich das sicher nicht mehr.“ Solche Aussagen von nicht mehr ganz jungen Menschen höre ich hin und wieder. Wenn ich dann nachfrage: „Warum lohnt es sich nicht mehr? Willst du nicht mehr wirklich am Leben teilnehmen?“, erhalte ich die ausweichende Antwort mit Blick auf den Sound Prozessor meines Cochlea Implantats: „Schon, aber eine Operation am Kopf .. – in meinem Alter?“
Meine eigene Erfahrung
An dieser Stelle komme ich wieder auf mich und meine eigene Erfahrung zurück. Die Angst vor der Operation am Kopf hatte ich auch einige Zeit lang. Als ich mit Menschen gesprochen hatte, die diese Implantation bereits hinter sich hatten, schwand die Angst und es überwog der Wunsch, ja der Wille, diese Hörmöglichkeit selbst auch haben zu wollen.
Wenn es keine medizinischen Gründe gibt, die dagegen sprechen, kann auch ein älterer oder alter Mensch ein Implantat bei sich einsetzen lassen. Ich selbst war deutlich über siebzig.
In diesem Blog habe ich an anderer Stelle beschrieben, wie harmlos ich selbst die Operation empfunden habe. Hier aber noch einmal das Wesentliche dazu. Ich bin vor der Operation sanft eingeschlafen und wurde danach ebenso sanft geweckt. Einmal wieder wach, war ich auch sehr schnell, nach einer gefühlten halben Stunde wieder auf den Beinen. Das war es auch schon.
Lebensfreude, Lebensqualität
Seitdem habe ich viele Eigenschaften wieder zurück erobert. Lebensfreude, Kreativität, Tatendrang und … mitreden können in Gesprächen und Diskussionen. Eigene Meinungen einbringen können. Auch fühle ich mich einbezogen in Gespräche und werde nach meiner Meinung gefragt. Alles das, war zuvor weitgehend verloren gegangen.
Lebensqualität ist zurück gekehrt. Ich höre, also bin ich – wieder. Und da ich die Absicht habe, recht alt zu werden, glaube ich noch viele Jahre als hörender Mensch, vollwertig und auf Augenhöhe, am Leben teilzuhaben.