Einsam unter Freunden

Einsam unter Freunden

 Freundeskreis

wandern-4Meine Frau und ich gehören einem sehr sympathischen und aktiven Freundeskreis an – es sind alles Paare. Jeden Geburtstag feiern wir beim Geburtstagskind. Silvester feiern wir immer abwechselnd, jedes Jahr bei einem andern Paar. Außerdem wandern wir oft gemeinsam. In der Adventszeit fahren wir für ein Wochenende in ein anderes Wandergebiet.

Da könnte der Eindruck entstehen, es gäbe da nicht mehr viel Neues zu erzählen, zu besprechen oder einfach zu palavern. Weit gefehlt.

 Unterhalt mit Sprechen verdient

Ich bin ein Mensch, der viele Jahre seinen Lebensunterhalt durch Sprechen verdient hat. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass solche Eigenschaften nicht einfach mit zunehmendem Alter verschwinden. Anders gesagt, ich habe auch gerne das Wort geführt.

Ich höre viel und verstehe nichts

Doch seit einigen Jahren sitze ich im Kreise der Freunde und höre viel aber verstehe nichts mehr. Ich fühle mich einsam – mache ein angestrengtes Gesicht aber ich langweile mich. Also esse und trinke ich mehr – schließlich habe ich viel Zeit zu überbrücken. Weder zu viel essen und noch zu viel trinken tut mir besonders gut. Deshalb verbringe ich auch einige Zeit mit meinem Smartphone – ein Segen so ein Gerät, zumindest in dieser Situation. Hin und wieder schnappe ich ein Stichwort aus dem laufenden Gespräch der Tischrunde auf und mische mich dann mit meinem Kommentar dazu ins Geschehen ein.

 Als Schwerhöriger auch mal im Mittelpunkt

Es folgt fast regelmäßig ein sich immer wiederholender Ablauf. Wenn ich überhaupt durchdringe – oft bin ich zu leise und häufig auch zu laut – sehe ich unverständliche Gesichter. Thema verfehlt oder Thema schon wieder vorbei. Für einen kurzen Zeitraum stehe ich dann dennoch im Mittelpunkt. Leider immer nur mit dem gleichen Inhalt, meiner Schwerhörigkeit. Ich habe dann Gelegenheit, ein paar Worte zur Entwicklung zu sagen und zu den Aussichten – in letzter Zeit auch zu den ganzen Vorbereitungen für die OP des Cochlea Implantats. Das Thema ist dann aber auch schnell erschöpft und das Gespräch fließt in andere Richtungen.

Allen Mitgliedern unseres Freundeskreises muss ich zugute halten, dass sie immer wieder versuchen, mich ins Gespräch einzubeziehen. Ich finde das geradezu rührend, wie sich alle bemühen. Aber letztlich bleibe ich doch auf der Strecke weil ich nicht verstehe, was sie alles sagen. Manchmal nicke ich nur zustimmend um nicht dauernd wieder nachzufragen.

Leider gehen dann fast alle davon aus, dass ich weiß worüber am Abend gesprochen wurde.

 Ich weiß natürlich von Nichts

Tage später kommen oft unerwartet Ereignisse auf mich zu, von denen ich angeblich gewusst haben sollte. „Das haben wir doch besprochen“ oder „du warst doch dabei als das vereinbart wurde“ – ja das mag alles sein – die eventuelle Frage nach dem Schuldigen ist dann schnell geklärt. Als Schwerhöriger fühle ich mich immer schuldig oder doch zumindest verantwortlich.

Im Laufe meines Lebens musste ich schon immer mit sich plötzlich neu ergebenden Situationen, Ereignisse oder Veränderungen  umgehen – das kommt mir heute zugute. Ich nehme es gelassen hin, wenn ich kurzfristig die Information erhalte „du weißt doch, dass wir heute Abend alle ins Konzert gehen.“

Hoffentlich gibt es da was zu trinken. Mein Smartphone habe ich immer dabei.

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